Psychische Belastung

 

Es fing alles 1975 an. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich eigentlich nie krank gewesen, außer den üblichen Kinderkrankheiten. Im April diesen Jahres lernte ich meinen späteren Mann kennen und es war Liebe auf den ersten Blick. Mein Vater (ein strenger Mann) reagierte nicht sehr erfreut, als ich ihm mitteilte, das ich schon im August desselben Jahres heiraten würde. Da ich aber volljährig war, konnte er es nicht verhindern. Doch er verbaute mir den Rückweg, in dem er mir sagte, dass ich ja nicht wieder an gekrochen kommen sollte.

 

Gut, so weit hatte ich meinen Willen durchgesetzt. Aber die Ehe entpuppte sich als eine Achterbahn der Gefühle. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich nur unglücklich war, denn es gab auch viele schöne Momente in meiner Ehe, aber mein Mann hatte ganz andere Vorstellungen über sein (unser) Leben wie ich. So kam es, dass ich ganz allein in unserer Wohnung saß, während er einer seiner "tausend" Beschäftigungen nachging. Er war im Schützenverein, spielte Fußball und hing gerne mit seinen Freunden in der Kneipe herum. Da war kein Platz für mich. Wenn ich bei ihm sein wollte, musste ich mit in die Kneipe gehen.

 

Nicht, das man mich falsch versteht, ich mache ihn nicht für meinen Crohn verantwortlich. Meine nicht erfüllten Erwartungen machten mich unglücklich und dieses unglücklich sein war wohl der Auslöser dieser schlimmen Krankheit. Auch fühlte ich mich aus meiner heilen Welt gerissen, ich war noch nicht bereit Selbstverantwortung für mein Leben zu übernehmen. Wenn ich Hunger hatte war da nicht gekocht, so wie bei Muttern. Sondern jetzt musste ich selbst was kochen, was ich nicht besonders gerne tat. Außerdem kam mein Mann ja am Abend nicht zum Essen nach Hause und für sich alleine zu kochen macht noch weniger Spaß. Damals habe ich mich nicht besonders gesund ernährt und viel zu viel geraucht.

 

Auf jeden Fall hatte ich nach einem Jahr Ehe 10 Kilo an Gewicht verloren und fühlte mich auch sonst nicht besonders gut, so ging ich dann zu einer Ärztin. Diese untersuchte mich sehr gründlich, schickte mich zum Röntgen des Darmes, lies meine Schilddrüse röntgen machte einen Zuckertest usw. Am Ende kam dann das Ergebnis zu tage, das ich eine chronische Gastritis und einen Entzündung im Dickdarm hatte und auch meine Schilddrüse nicht ganz so arbeitete wie sie sollte. Sie verschrieb mir Tabletten, die ich nach ihrer Aussage für immer nehmen sollte. Außerdem gab sie mir ein Büchlein über "vegetative Distonie".

 

Da ich aber wie gesagt sehr eigenwillig bin, habe ich die Tabletten nach einem halben Jahr abgesetzt. Es ging mir da auch wieder besser. Außerdem wollte ich schwanger werden und wurde es dann auch. 1977 kam meine erste Tochter zur Welt und 1979 meine Zweite. Während den Schwangerschaften ging es mir blendend. Auch deswegen, weil ich nicht rauchte und mich sehr gesund ernährte. Natürlich war mein Mann jetzt immer noch nicht zu Hause, aber ich hatte jetzt ja zwei die meine ganze Liebe brauchten und die mir ihre ganze Liebe zurück gaben.

 

1982 fand ich eine Halbtagstelle in meinem erlernten Beruf. Gleich nach dem meine Jüngste im Kindergarten aufgenommen würde, hätte ich wieder arbeiten können. Das wäre der erste Schritt zur Trennung von meinem Mann gewesen. Aber es sollte anders kommen. Ich war wieder schwanger. Eine Abtreibung kam für mich nicht in Frage. Also fügte ich mich in mein Schicksal.

 

Da wir mit drei kleinen Kindern keine geeignete Wohnung fanden und der Staat uns ein zinsfreies Darlehen gewährte, bauten wir uns ein Haus. Damit fing das Ende meiner beschwerdefreien Zeit an. Wir mussten mit drei kleinen Kindern in ein unfertiges Haus ziehen, da wir uns eine Abzahlung des Kredits und die Zahlung von Miete nicht leisten konnten. Da wir sowieso nicht mit Geld voll hingen, haben wir ein Haus mit sehr viel Eigenleistung gebaut.

 

Aber mein Mann sah nicht ein, das er jetzt seine Freizeitvergnügungen reduzieren musste, um dass wir schnellsten mit dem Ausbau unseres Hauses fertig würden. Es gab deshalb sehr viel Streit. Ich fühlte mich dieser Situation nicht gewachsen. Drei Kinder, das unfertige Haus, die Baustelle ums Haus.

 

Mehr wie einmal hatte ich den Gedanken: Flucht! Aber wohin mit drei Kindern! Also blieb ich und litt. Mein Bauch litt mit mir. In dieser Zeit habe ich mich regelrecht innerlich zerfressen. Viel Bauchweh, viel Durchfall, wenig Appetit. Die Waage zeigte, jedes Mal wenn ich mich drauf stellte, weniger an. Die Zeit verging, das Haus wurde wenigsten soweit fertig, dass man drin wohnen konnte. Ganz fertig wurde es übrigens nie, auch heute 25 Jahre später ist immer noch der Keller unverputzt(!!!).

 

Dann kamen die Kinder nach einander in die Schule und damit begann der Schulstress. Fortan hieß es Nachmittage lang pauken und pauken. Wenn ich das gerne gemacht hätte, dann hätte ich wohl den Beruf der Lehrerin gelernt. Aber so war ich völlig überfordert. Bei den zwei Mädchen hatte diese Quälerei wenigstens noch einen Sinn, denn sie kamen immerhin noch gut durch die Schule. Aber bei meinem Sohn war das reinste Chaos ausgebrochen. Er war sehr eigenwillig (vom wem ;-) er das wohl hat?) und wollte einfach nicht das lernen, was er in der Schule lernen sollte. Er fand das unnötig!!!!

 

Das war dann auch die Hochkonjunktur meines Crohnes. Ich bin mit meinem Leben nicht fertig geworden und ich hatte niemand, der mir helfen konnte. Mein Mann wollte sein Junggesellenleben nicht aufgeben. Meine Eltern waren mittlerweile beide viel zu früh gestorben (1987 und 1992) .

 

Bei den Psychologen, die ich aufgesucht hatte, fand ich auch keine Hilfe. Die erklärten mir nur, dass man niemand (meinen Mann) ändern kann, und wenn ich damit nicht klarkomme, dann sollte man gehen.

 

Wie hätte aber mein Leben ausgesehen, wenn ich als allein erziehende Mutter mit drei Kindern gelebt hätte? Wenn ich noch mehr Sorgen gehabt hätte, dann wäre mein Bauchweh auch nicht weggegangen. Also blieb ich und fand mich damit ab. Ich hörte auf um meinen Mann zu kämpfen und lies ihn einfach so leben wie er wollte.

 

Allerdings musste ich mich dafür aber auch emotional von ihm lösen. Das wiederum gefiel ihm nicht und er fing an mich zu drangsalieren. Von 1997 bis 1998 war es dann so schlimm, das meine inzwischen großen Kinder es nicht mehr aushielten und mich bestärkten endlich auszuziehen. Was ich dann 1998 auch tat.

 

Aber mit meinem Crohn wurde es nicht besser, im Gegenteil die Trennung hat mich wieder einmal ein paar Kilo gekostet, so wog ich dann nur noch 42 kg und meinen schlimmsten Schub hatte ich auch noch vor mir.

 

Er wurde ausgelöst von den Selbständigkeitsbestrebungen meiner Kinder. Ich merkte, dass sie mich auch verlassen würden (was ja sehr natürlich und richtig ist). Aber ich leide nun mal unter Verlassensängsten, ich hatte bis jetzt schon so viel verloren. Meine Eltern, meine Großeltern, meine liebe Schwägerin, mein Cousin durch Tod. Mein Mann, mein zu Hause durch Scheidung und jetzt noch meine Kinder. Der Gedanke, dass ich dann ganz allein sein werde, lies mich verzweifeln.

 

So bekam ich Anfang 1999 meinen bisher schwersten Schub. Danach hatte ich Dauerschmerzen bis ich endlich im August 1999 operiert wurde. Im Dezember 1999 kam ich dann in die Reha. Dort habe ich mich mit vielen Mitpatienten angefreundet und ich habe festgestellt, dass es mich mit meiner Krankheit gar nicht so schlimm getroffen hat, wie manch andere. Eigentlich muss man ja froh sein, dass es einem noch so gut geht.

 

Durch diese Erlebnisse hat bei mir ein Umdenken stattgefunden. Ich achte heute auf meine Ernährung und versuche mich vollwertig zu ernähren. Natürlich kann ich auch heute noch nicht auf alles was aus Zucker ist verzichten, aber ich habe es sehr stark eingeschränkt. Heute erlaube ich mir Süßigkeiten nur als das was sie sind ein Genussmittel, das man nur in ganz geringem Maße genießen sollte.

 

Weißmehlprodukte habe ich durch Vollkornprodukte ersetzt. Kuchen zähle ich heute zu Süßigkeiten, denn es ist kein Nahrungsmittel und deshalb gibt es ihn auch sehr selten. Da mein neuer Partner, den ich in der Reha kennen gelernt habe Diabetiker ist, fällt es mir leichter auf dies alles zu verzichten, da er ja auch diese süßen Dinge nicht essen sollte. Gemeinsam geht es eben besser.

 

Mit dem Rauchen habe ich ja schon 1996 aufgehört, als meine Schwägerin an Lungenkrebs starb. Das war für mich eine Schocktherapie. Denn es ist ja so einfach Lungenkrebs als was abstraktes zu sehen und zu sagen, dann erwischt es mich halt mal. Wenn man aber dann wirklich sieht, wie schrecklich Lungenkrebspatienten leiden müssen, dann fällt es eigentlich ganz leicht aufzuhören.

 

Wenn mich heute manchmal noch der Wunsch nach einer Zigarette überkommt, dann denke ich nur an das grausame Sterben meiner geliebten Schwägerin. Außerdem ist es ja bewiesen, das Rauchen für MC Patienten nicht gut ist. Spätestens seit ich das weiß, hätte ich dann sowieso versucht, damit aufzuhören.

 

Aber am wichtigsten ist natürlich, das sich meine Lebenseinstellung geändert hat. Stress ist für mich und meine Krankheit sehr schlecht, deswegen vermeide ich ihn wo es nur geht. Es gibt auf der Welt nichts das so wichtig wäre, das man sich freiwillig diesem Stress aussetzen muss. Insbesondere Freizeitstress ist für mich ein Fremdwort.

 

Dort wo man den Stress nicht so leicht umgehen kann, z.B. auf der Arbeit, versuche ich mit Entspannungsübungen und mentaler Suggestion mir schwierige Situationen zu erleichtern. Das ist natürlich nicht immer so einfach und braucht etwas Übung, aber es funktioniert.

 

Eine ganz einfache Übung: Immer freundlich zu den Kunden sein, egal wie dreckig es mir auch geht. Man muss sich immer vor Augen halten, das die anderen ja nichts dafür können, das es einem schlecht geht. Außerdem ist das auch gut für einem selbst, denn wenn ich schlecht gelaunt bin und ich mich dazu zwinge freundlich zu sein, passiert folgendes:

 

-Erst fällt es mir sehr schwer ein freundliches Gesicht zu machen.

-Dann mache ich schon automatisch ein freundliches Gesicht, wenn ich einem Kunden begegne.

-Am Schluss bin ich selbst freundlich und fröhlich gestimmt.

 

Außerdem hat es noch den Nebeneffekt, meine Kunden "lieben" mich und zeigen mir das auch. Das hebt natürlich mein geringes Selbstbewusstsein erheblich. Dafür lohnt es sich zu leben. Deswegen arbeite ich gern und ich hoffe, das mich meine Krankheit noch lange arbeiten lässt.